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Blog

Tourenberichte, Gedanken und anderes sentimentales Gefasel

Hochstuhl Klettersteig

Wir könnten die Sache hier erheblich abkürzen, indem wir vorwegnehmen, dass wir den Gipfel vom Hochstuhl nicht erreicht haben. Andererseits muss man ja diese Seite ja irgendwie vollkriegen.


Na dann ...


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11. September 2019

Ziemlich genau drei Tage, nachdem wir nach unserer Mehrtagestour im Virgental in Richtung Wörther See abgedüst sind, um da eine Woche lang "einfach mal gar nichts zu machen", sind wir wieder unterwegs. Am 10. September, also ungefähr zwei Tage, nachdem wir nach unserer Mehrtagestour im Virgental in Richtung Wörther See abgedüst sind, haben wir entschieden, dass es uns zwischen Essengehen und Schwimmen in einem Umfeld, dessen Altersdurchschnitt wir durch unsere Ankunft massiv nach unten gedrückt haben, irgendwie dann doch ein wenig zu langweilig wird.

Unsere Wanderklamotten sind nach dem Waschen auch wieder trocken, also spricht nichts dagegen, eine Tour in Angriff zu nehmen, auf die wir 2018 aufmerksam geworden sind - den Hochstuhl Klettersteig.

Es ist im übrigen unfassbar, was wir alles aus unseren äußerlich gar nicht so verschmutzten Wanderklamotten rausgewaschen haben. Da bleibt in 7 Tagen einiges hängen und zu unserem Glück riechen auf den Hütten alle Menschen gleich, weshalb man gar nicht wahrnimmt, was einem da aus den eigenen Klamotten den Nasengang hochkriecht.


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Das nur als Randnotiz. Die Sachen sind wieder sauber und trocken. Und wir stehen in einem Nebental des Rosentals vor dem Hochstuhlkar und ziehen uns unsere Klettersteigsets an. Bevor wir das Schuttfeld betreten, durch das der Weg zum Einstieg des Klettersteigs führt, erinnert eine Tafel an einem großen Felsbrocken daran, dass sich die ursprüngliche Tafel mit einem Gedenkspruch unter ihm befindet.

Mit diesem heiteren Hinweis auf die gesundheitsbeeinträchtigenden Gefahren herabstürzender Felsen machen wir uns auf den Weg zur Einstiegsstelle. Als wir hier vor einem Jahr auf der nahegelegenen Klagenfurter Hütte waren, lösten sich übrigens immer wieder kleine Steine von den Felswänden und sprangen in großen Sätzen den Hang hinunter. Deshalb behalten wir das Gelände über uns permanent im Auge.

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Die Gedenktafel an dem Felsen, unter dem sich die ursprüngliche Gedenktafel befindet, die hier mal stand.

Etwa 50 Meter oberhalb stehen ein paar Bergziegen oder Gämsen. Auf jeden Fall keine Steinböcke. Der Weg zum Einstieg ist nicht lang, weshalb wir ihn bald erreichen. Dort erfahren wir von einem Schild, dass sich weiter oben im Steig vor etwa einem dreiviertel Jahr eine Felsnadel gelöst hat und einen Kletterer tötete. Wir machen uns kurz darüber Gedanken, ob wir diesen Steig wirklich machen wollen. Letztendlich entscheiden wir uns dafür. Zum einen, weil wir uns nach unserer mehrtägigen Tour in Osttirol ziemlich sicher fühlen und zum anderen, weil der Steig lediglich einer der Kategorie B ist. Harmlos. Eigentlich.

Und irgendwie macht es anfangs auch Spaß. Wir kommen gut voran und lassen die Einstiegsrinne schnell hinter bzw. unter uns. Der Steig ist nicht durchgehend gesichert, was uns zunächst keine Probleme bereitet, weil die ungesicherten Passagen leicht zu gehen sind. Zwar geht es an einigen Stellen steil abwärts, aber auch das kennen wir von unserer Mehrtagestour zuvor.


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Erste Zweifel kommen uns, als wir eine etwas ausgesetztere Stelle passieren, an der sich eigentlich Sicherungen befinden müssten. Diese fehlen aber. Und dann fängt man plötzlich an, den Abgrund im Rücken zu spüren. Zumindest ist das bei uns so. Dass es hinter einem steil abwärts geht und dort erst mal nichts ist, was einen Sturz bremst - zumindest nichts, was keine schweren Verletzungen verursacht - wird auf einmal greifbar. Dazu die vom Felsen zerstörte Sitzbank da unten und die Gedenktafel am Einsteig und fertig ist der Cocktail, der dir immer wieder sagt: Es ist ein Unterschied, ob du in 2 oder 300 Metern Höhe kletterst.

Je höher wir kommen, desto häufiger bemerken wir lockere Sicherungen. Schließlich rutscht Katrin einem Griff an den brüchigen Fels ab und bricht sich dabei einen Finger. Das wissen wir in dem Moment noch nicht 100%ig, aber weil der schon mal durch war, spricht viel dafür.

Mit etwas Verband, Pflastern und einem kleinen länglichen Stein schient sie sich den Finger provisorisch und wir klettern weiter. Abzusteigen wäre für uns die falsche Option gewesen, weil es sich für uns aufwärts schlicht einfacher klettert als abwärts. Da Katrin jetzt allerdings ordentlich gehandicaped ist, ist der Spaßfaktor komplett hinüber.

Schließlich erreichen wir einen schmalen Grat, der von dem etwas vorgelagerten Nordsporn auf den letzten Teil des Steigs direkt unterhalb des Gipfels des Hochstuhls führt. Weil wir ziemlich platt sind, machen wir kurz Pause, bevor wir den Grat entanggehen.

Möglicherweise waren es die Eindrücke, die uns seit wir losgelaufen sind beeinflusst haben, oder vielleicht haben wir uns die vor uns aufragende Felswand einfach ein paar mal zu oft angeschaut und in ihr die Routenführung gesucht. Auf jeden Fall wird es für uns immer unwahrscheinlicher, dass wir diesen Teil schaffen werden. Dazu kommt, dass sich hinter den umliegenden Bergkämmen einiges an Wolken auftürmt. Die würden irgendwann rüberkommen.


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Die Wolken, die immer wieder kurz über den Bergkamm schwappen, sich aber dann zunächst wieder verziehen.

Katrins Finger schmerzt mittlerweile. An Abstieg ist nicht zu denken, also versuchen wir es mit kleinen Schritten. Der erste Schritt besteht darin, erst mal aufzustehen, was an dieser Stelle nicht so einfach ist. Denn links und rechts geht es abwärts und was wäre wenn ...? Wir stehen schließlich auf beiden Beinen, aber es fühlt sich nicht gut an. Auch das ist rational ganz schwer zu erklären, denn wir können gehen. Schon lange. Doch irgendwie sitzt da jetzt eine Blockade im Kopf, die uns daran hindert, mit dem einen Fuß den Boden zu verlassen, um einen Schritt geradeaus zu gehen. Es wäre nicht einmal balancieren, aber trotzdem ist es uns nicht möglich, diese lächerlichen zehn Meter Grat hinter uns zu bringen.

Wir setzen uns wieder hin und uns wird bewusst, dass wir ein echtes Problem haben. Wir trauen unseren Beinen nicht, dass sie uns über den Grat tragen. Und selbst wenn dieser Teil gemeistert würde, wäre da noch dieses etwa 200 Meter hohe Steilstück vor uns, das Katrin mit nur einer einsatzbereiten Hand überwinden müsste. Runter wäre unter diesen Bedingungen mindestens genauso riskant. Für einen kurzen Augenblick überlegen wir rechts des Grats die über 45 Grad steile Rinne hinunterzurutschen, weil die schließlich in sanfteres Schuttgelände führen würde - nach knapp 100 Metern Höhenmetern. Diese Idee ist also nach 2 Sekunden mit dem Vermerk "vollkommen absurd" zu den Akten gelegt. Übrigens klingen 45 Grad nicht viel, sind es aber, wenn man am oberen Ende steht und der Untergrund eben nicht aus Matratzen besteht. Und weil unsere Karte alles oberhalb von 45 Grad in der Legende eben nur noch als ">45 Grad" anzeigt, kann die Neigung hier alles zwischen 45 und 90 Grad sein.

Schließlich ergreifen wir die letzte für uns denkbare Maßnahme und rufen die Bergrettung.

Wir haben schon sehr früh für uns die Regel etabliert, dass wenn einer von uns Bedenken hat und sich nicht sicher fühlt, wir umdrehen. Ehrlicherweise hätten wir schon an den Stellen, wo die Sicherung nicht mehr vorhanden war, den Rückweg antreten müssen. Denn von da an war das Sicherheitsgefühl dahin.

Während wir auf die Bergrettung warten, denken wir an die zahlreichen Berichte von naiven Bergwanderern, die sich vollkommen übernommen haben oder völlig falsch ausgerüstet in herausforderndes Gelände gegangen sind. Wir denken an die Kritik der "all inclusive"-Gesellschaft, die ihre Probleme bei eigenem Unvermögen von jemand anderem gelöst bekommen. Das wollen wir nicht sein. Und wir wissen auch, dass heute unser einziger Fehler war, die Tour nicht beim ersten Zweifel abzubrechen. Wir sind gut ausgerüstet, wir sind fit, wir haben uns über die Route informiert, wir haben Proviant dabei, genug zu trinken. Trotzdem sind wir heute gescheitert.

Irgendwann hören wir den Helikopter, der ins Tal fliegt. Weil wir uns zwischen dem vorgelagerten Felssporn und dem Aufstieg zum Hochstuhl befinden, sind wir schwer zu sehen - trotz der neonorangen Regenschutze unserer Rucksäcke. Durch unsere Uhren konnten wir glücklicherweise unsere genauen Koordinaten durchgeben, weshalb der Heli irgendwann über uns steht. Unser Handy klingelt und die Bergretter informieren uns darüber, dass sie einmal in Richtung Klagenfurter Hütte abdrehen werden, um die Seilbergung vorzubereiten.

Wenige Minuten später kehrt der Heli zurück und setzt einen Bergretter bei uns ab. Der verpackt uns dann so, dass wir gleich an den Karabiner unter dem Heli eingehängt werden können. Als der Heli das Seil herunterlässt, verfängt es sich in den Büschen der Felsen, hinter dem wir sitzen. Unser Bergretter springt daraufhin die Felsen hinauf und angelt sich das Seil.

Der scheint im Gegensatz zu uns gerade keine Problem mit dem abschüssigen Gelände zu haben.

Schließlich werden wir zu dritt eingeklinkt, wir verlieren den Boden unter den Füßen und ergeben uns in unser Schicksal. Weil wir unsere Augen geschlossen haben merken wir nur, dass es plötzlich immer windiger wird. Es ist der Wind, der schon seit einiger Zeit die Wolken über die umliegenden Bergkämme drückt. Und da wäre tatsächlich bald schlechtes Wetter rübergekommen.

Zu unserer Erleichterung werden wir nicht bis ganz nach oben in den Heli gezogen. Die Vorstellung, in dieser Höhe vom Seil in den Innenraum zu klettern, ist nicht gerade eine schöne. Also werden wir vor der Klagenfurter Hütte abgesetzt und der Heli landet ein paar Meter weiter entfernt. Die Klagenfurter Hütte ist übrigens sehr leicht zu erwandern, weshalb wir für die zahlreichen Besucher der Hütte das Highlight des Tages sind.


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Um die Stimmung etwas zu heben, an dieser Stelle aus dem Kontext gegriffen ein Foto von schönen Pflanzen

Was dann folgt ist der offizielle Teil, bei dem der Fall aufgenommen wird. Wie es der Zufall will, macht die Polizei genau an diesem Tag zu dieser Zeit in diesem Gebiet eine Bergübung. Die ist also auch am Start und nimmt unsere Personalien auf. Vor dem Hintergrund, dass es tatsächlich viele gibt, die ihre Alpenvereinsmitgliedschaft mit einem Pauschalservice gleichsetzen, der beinhaltet, aus jeder Situation befreit zu werden, finden wir das völlig in Ordnung.

Natürlich entschuldigen wir uns tausendmal, werden aber von den Bergrettern beruhigt, dass wir nicht den Eindruck machen, unvorbereitet gewesen zu sein. Darüber hinaus sei es immer vernünftiger, sich helfen zu lassen, wenn man nicht mehr weiter kommt. Schließlich sei man vor wenigen Wochen erst schon in dieser Gegend gewesen, um jemanden zu bergen - allerdings in einem Leichensack.


Die Polizei fährt uns anschließend sogar noch zum Parkplatz und wir sind plötzlich nicht mehr am Berg, sondern im Auto. Zwischen Notruf und Parkplatz liegen keine 30 Minuten und wären wir noch in unsereren 20ern, dann würden wir sagen, dass wir darauf in diesem Moment gar nicht mehr klar kämen.

Es ist aber tatsächlich eine absolut surreale Situation.

Und wir kommen darauf echt gar nicht mehr klar.

Wir fahren zurück zu unserer Unterkunft und weil der Tag irgendwie nur halb fertig ist, gehen wir etwas früher als geplant essen und verdauen die Erlebnisse des Tages mit etwas Hochprozentigem.

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